Donnerstag, September 01, 2005

 

Gastkommentar zum Art. 82 EGV Bericht


Anbei ein Gastkommentar von Pranvera Këllezi im Zusammenhang mit dem Bericht "An economic approach to Art. 82":

"Seit die Kommission im Zusammenhang mit der Verordnung 2790/99 über die Gruppenfreistellung von vertikalen Vereinbarungen die ökonomische Ansicht anwendete, eröffnet sich die Möglichkeit einer anderen Variante von Wettbewerbsrechtsbeurteilung. Zur Zeit ist das Wettbewerbsrecht völlig von der ökonomischen Ansicht geprägt. Damit hängt auch ein Phänomen zusammen: die Entwicklung der europäischen Fusionskontrolle, die den Eindruck erweckt, als ob die Behörden sich zurückhalten sollten, so lange ein ex post Eingriff durch die Missbrauchskontrolle möglich ist. Sollte diese Stellung sich bestätigen, wird die Frage, in welchem Umfang die neue Betrachtungsweise die Anwendung des Art. 82 EG beeinflussen wird, von überragender Bedeutung.

Der Bericht bestärkt die Meinung, dass das Wettbewerbsrecht den Schutz der Verbraucherwohlfahrt bezweckt. Lange Zeit bedeutete eine solche Ansicht mehr staatlichen Eingriff im Markt: sollte eine Verhaltensweise der marktbeherrschenden Unternehmen die Konsumentenrente reduzieren, so wäre ein wettbewerbsrechtlicher Eingriff zu rechtfertigen, ohne die Produzentenrente in Betracht zu ziehen. Der Bericht legt jedoch den Schwerpunkt auf eine andere Facette: da die Wettbewerbsbeeinträchtigung sich auf die Reduzierung der Konsumentenrente beruft, muss jede Missbrauchsuntersuchung Letztere ermessen. Die Behinderung der Konkurrenten reicht nicht. Damit nähert sich das europäische Wettbewerbsrecht an die Tendenzen des amerikanischen Rechts an. Während ein solches Kriterium aus theoretischer Sicht zu begrüssen ist, muss man ausserdem einwenden, dass es in der Praxis mit Ermessens- und Beweisproblemen verbunden ist, so dass die Anwendung des Art. 82 EG gefährdet sein könnte. Die Möglichkeit, dass das Verbraucherschutzkriterium als Vehikel für eine grosse Zurückhaltung der Kartellbehörden benutzt wird, hat schon einige Kritiken herausgefordert (siehe hier).

Die Übernahme eines Konsumentenwohlfahrtstandards hat zur Folge, dass unangemessen hohe Preise gegen das Wettbewerbsrecht verstossen. Die Autoren empfehlen eine Zurückhaltung der Wettbewerbsbehörden, denn Letztere sind nicht in der Lage, das „angemessene“ Preisniveau zu bestimmen und zu setzen. Der Grund dafür liegt darin, dass die spezialisierten Behörde geeigneter für die Preiskontrolle sind. Diese Lösung ist ebenfalls mit dem amerikanischen Recht kompatibel, jedoch nicht mit dem europäischen Recht und auch nicht mit der ökonomischen Lehre. Für die ökonomische Lehre ist klar, dass die Monopolpreise zu unwiederbringlichen Wohlfahrtverlusten führen. Es ist somit bedeutungslos, welche Behörde kompetent sein wird. Dieser Punkt wirft die Frage über die Unterscheidung zwischen Ideologie und Ökonomie auf. Ökonomie ist eine positive Wissenschaft: dieser Lehre zufolge, sind hohe Preise schädlich für die Gemeinschaft. Die Meinung, die Wettbewerbsbehörden müssten auf die Kontrollpreise verzichten, scheint mehr an Ideologie anzuknüpfen.

Aus prozeduraler Sicht sind einige Vorschläge eher problematisch. Die Haltung, wonach Beschwerdegründe, die auf ökonomischen Theorien basieren, mehr Beweiswert besitzen, zieht nicht in Betracht, dass diese Theorien aus einfachen Formalisierungen der wirtschaftlichen Intuitionen bestehen, so dass solche Formalisierungen nur nach den Auftreten der missbräuchlichen Verhaltensweisen und deren negativen Auswirkungen artikuliert werden. Wie O.E. Williamson schon gesagt hat: "Antitrust works with the economic theory to which it has access". Ist ein Unternehmen Opfer einer neuen Form von Behinderungspraktiken, würde es während des Verfahrens benachteiligt. Im Übrigen sollte man nicht vergessen, dass die ökonomischen (mathematischen) Beweise keine rechtlichen Beweise darstellen.

Die Reform des Art. 82 EG ist von Bedeutung, im Hinblick auf die immer grössere Beeinflussung des schweizerischen Kartellrechts. Während ein bescheidener Eingriff durch Fusionskontrolle vernünftig scheint, könnte eine Schwächung der Missbrauchskontrolle Gemeinschaftsschädlich sein, zumal die Schweiz zu den kleineren Wirtschaften gehört. Eine der wichtigsten Aufgaben der schweizerischen Behörden besteht demnach darin, Kartellrecht kohärent zu interpretieren und durchzusetzen. Sollten sie eine distanzierte Haltung gegenüber hohen Preisen einnehmen, so müssen sie sich ähnlich bezüglich wirtschaftlicher Abhängigkeit der KMU verhalten."


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