Freitag, August 26, 2005

 

Art. 82 EGV: Neue wirtschaftliche Betrachtungsweise


Die Europäische Kommission Generaldirektion Wettbewerb hat auf ihrer Webseite den lange erwarteten Bericht der "Economic Advisory Group for Competition Policy (EAGCP)" zur Thematik "An economic approach to Article 82" publiziert.

Dieser Bericht wurde vom Chefökonomen Lars-Hendrik Röller in Auftrag gegeben und von externen Ökonomen verfasst. Der Bericht bindet die Kommission nicht, sondern sollte dazu dienen, neue Gedankenansätze für eine verstärkte wirtschaftliche Betrachtungsweise bezüglich der Beurteilung missbräuchlicher Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen (im Sinne von Art. 82 EGV) zu liefern.
Einer der wichtigsten Vorschläge betrifft die Anwendung einer wirkungsbezogenen Beurteilung: Anstatt zuerst festzustellen ob ein Unternehmen marktbeherrschend und dann zu beurteilen, ob eine bestimmte Verhaltensweise missbräuchlich ist, soll einzig darauf abgestellt werden, ob ein bestimmtes Verhalten wettbewerbsbehindernde Auswirkungen hat (eine Definition des relevanten Marktes ist nicht mehr notwendig?). Dies sollte aufgrund ökonomischer Theorien, unterstützt von Fakten und empirischen Beweisen begründet werden. Die zugrundeliegende Idee ist, dass einzig ein marktbeherrschendes Unternehmen in der Lage ist, sich derartige zu verhalten, so dass nicht mehr zusätzlich nachgewiesen werden muss, dass ein Unternehmen auch wirklich marktbeherrschend ist.

Aus prozeduraler Sicht wird dies natürlich einige Probleme für die beteiligten Parteien und Behörden bereiten: Da sich der Nachweis des missbräuchlichen Verhaltens auf ökonomische Theorien abstützt, kann solch ein Verfahren schnell in ein Theorienstreit zwischen verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und Schulen entwickeln. Für die entscheidenden Richter wird es nicht einfach sein, zu entscheiden, welche Theorie am überzeugendsten ist. Eine Folge hiervon ist zudem, dass die Vorhersehbarkeit für die Marktteilnehmer umso schwieriger wird, bis erste Entscheide der Gerichte die Theorien gefestigt haben.

Andererseits ist aber zu begrüssen, dass versucht wird eine verstärkt wirtschaftliche Betrachtungsweise einzuführen, welche vermehrt auch auf die effektiven Auswirkungen der Verhaltensweisen abstellt. Dies scheint jedoch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichts erster Instanz (siehe z.B. die Entscheidung Michelin II). Es wird sich weisen, inwiefern die Kommission die formulierten Vorschläge in diesem Bericht übernehmen wird.

Aus Schweizer Sicht ist diese Entwicklung ebenfalls von Interesse, besteht doch zur Zeit eine akademische Streitigkeit über die Tragweite des neu formulierten Artikels 4 Abs. 2 des Schweizerischen Kartellgesetzes. Im Sinne einer europakonformen Auslegung des Schweizerischen Kartellrechts scheint es sinnvoll zu sein, auch hier den neuen Ansätzen zu folgen.

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