Freitag, September 16, 2005

 

"Echter" Handelsvertreter? Niederlage für die Kommission i.S. Mercedes-Benz


Das Europäische Gericht erster Instanz hat am 15. September eine interessante Entscheidung in Sachen DaimlerChrysler AG v Europäische Kommission (Rechtssache T-325/01) gefällt. Das Gericht hatte über eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung zu beurteilen, in welcher die Europäische Kommission Mercedes-Benz zu einer Busse von 71,825 Millionen Euro verurteilt hat. Das Gericht hat die Kommissionsentscheidung über weite Teile für nichtig erklärt und die zu bezahlende Busse auf 9,8 Millionen Euro reduziert.

In ihrer Entscheidung hatte die Kommission befunden, dass Mercedes-Benz (MB) gegen Art. 81 EGV verstossen habe: (i) MB habe die deutschen Handelsvertretungen angewiesen, Neufahrzeuge nur innerhalb des Vertragsgebiets zu liefern und internen Wettbewerb zu vermeiden, (ii) MB habe Handelsvertretern verboten, PKWs an Leasinggesellschaften ohne konkreten Kunden zu liefern, und (iii) MB habe in Belgien eine Vereinbarung zur Rabattgewährung getroffen. Die Entscheidung im ersten Punkt wurde für vollumfänglich und im zweiten Punkt für teilweise nichtig erklärt.

Von besonderem Interesse ist der erste Punkt, in welchem das Gericht zu entscheiden hatte, ob die Verhaltensweise effektiv als eine Vereinbarung / koordinierte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Unternehmen zu bewerten ist. MB hat sich schon vor der Kommission darauf berufen, dass die Handelsvertreterverträge nicht dem Kartellverbot von Art. 81 EGV unterliegen, da die Händler als Vertreter anzusehen seien. Das Vertragsverhältnis sei dem mit einem Angestellten gleichzustellen, da die Handelsvertreter in das Unternehmen eingegliedert seien und als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten seien. Unter anderem aufgrund der Kosten und Risiken die die Handelsvertreter tragen würden, war die Kommission der Ansicht, dass es sich beim Verhältnis zwischen den beiden Parteien um einen Vertrag zwischen unabhängigen Unternehmen handelt.

Das Gericht kommt diesbezüglich zur Auffassung, dass Mercedes-Benz und nicht der deutsche Vertreter die Hauptrisiken trägt, selbst wenn der Vertreter gewisse Investitionen tätigen muss (z.B. Vorführwagen) und mittels Reduktion zulasten der eigenen Provision den Endkundenpreis beeinflussen kann. Die Vertreter führen den Verkauf der Fahrzeuge im Wesentlichen nach den Anweisungen von Mercedes-Benz aus, sind somit in dieses Unternehmen eingegliedert und bilden eine wirtschaftliche Einheit.

Hinsichtlich der von der Kommission vorgebrachten Risiken, welche vom Handelsvertreter zu tragen seien (gewisse Transportkosten, Vorführwagen, Garantiearbeiten, etc.), ist das Gericht einerseits der Auffassung, dass diese von der Kommission teilweise „deutlich überbetont“ wurden (Rz. 106), bzw. die Kommission „spürbar die Bedeutung der Risiken übertreibt“ (Rz. 109). Andererseits habe die Kommission den Nachweis von „spürbare[n] wirtschaftlichen Risiken“ zu erbringen (Rz. 111) und das Gericht hält zusammenfassend fest, dass „begrenzte Risiken (…) alleine nicht dazu geeignet wären, die wettbewerbsrechtliche Einstufung des Verhältnisses (…) zu verändern“ (Rz. 113). Somit habe die Kommission nicht das Darliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen im Sinne von Art. 81 EGV dargetan.

Dies scheint den von der Kommission erlassenen Leitlinien für vertikale Beschränkungen zu widersprechen, da diese in Rz. 15 festlegen, dass ein Handelsvertrag nur dann nicht unter Art. 81 EGV fällt, wenn „der Vertreter keine oder nur unbedeutende Risiken (…) trägt“. Diese von der Kommission gewählte Formulierung, sowie der (zu) strikte Beispielkatalog in Rz. 16 führen dazu, dass eine Vielzahl von Verträgen potentiell nicht mehr als Handelsvertreterverträge qualifiziert würden. Die vom Gericht gewählte Formulierung „spürbare wirtschaftliche Risiken“ scheint diesbezüglich weiter zu gehen. In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass die Leitlinien der Kommission nur diese selbst, aber nicht die Gerichte bindet.

Im weiteren Zusammenhang betreffend wirtschaftlicher Risiken ist zudem darauf hinzuweisen, dass das Tragen derartiger Risiken hauptsächlich eine Frage der Kostenallokation ist. Wieso sollte ein Handelsvertreter, der eine leicht höhere Kommission erhält und im Gegenzug den Transport zum Kunden organisiert in einer materiell anderen Situation sein, als der Vertreter, der eine geringere Kommission erhält und dafür den Transport nicht organisiert?

Die Entscheidung des Gerichts erster Instanz ist somit ein Schritt in die richtige Richtung und wir werden abwarten ob die Kommission die Entscheidung anfechten wird (wovon wohl auszugehen ist).


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